Unterstützung für Verding- und Heimkinder im Kanton Bern
In keinem anderen Kanton wie Bern gibt es mehr Verdingkinder und andere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Vor diesem Hintergrund starten die Guido Fluri Stiftung und Pro Senectute Kanton Bern nach mehrmonatiger Vorbereitung das Pilotprojekt «Caregivers». Speziell ausgebildete Betroffene, sogenannte «Caregiver», begleiten und unterstützen dabei andere Betroffene im Alltag – vor Ort oder virtuell im Netz. Caregiver sind auch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Alters- und Pflegeheime und schulen dort die Pflegenden. Das Pilotprojekt wird vom Bundesamt für Justiz unterstützt.
Ob Verding- und Heimkinder – die Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen haben viel Leid und Unrecht erlebt. Die allermeisten dieser Betroffenen sind heute zwischen 70 und 90 Jahre alt. Sie sind je länger je mehr auf fremde Hilfe angewiesen, sei dies in den eigenen vier Wänden oder in einem Alters- oder Pflegeheim. Hinzu kommt die grassierende Altersarmut. Viele Betroffene befürchten darum, dass sie im Alter wieder fremdbestimmt werden und ihre speziellen Lebensgeschichten, die oftmals von Missbrauch- und Misshandlungen geprägt sind, auf den Behörden sowie in den Alters- und Pflegeheimen wenig Gehör finden. Guido Fluri, der Urheber der Widergutmachungsinitiative, sagt: «Die Angst, erneut in eine Abhängigkeit zu geraten, ist gross bei den Opfern von Zwangsmassnahmen. Diese Not müssen wir lindern. Wir haben darum zusammen mit den Betroffenen ein Projekt entwickelt, damit die Betroffenen selbstbestimmt und würdevoll altern können».
Speziell ausgebildete Caregiver helfen vor Ort, Pro Senectute unterstützt mit Fachleuten Pro Senectute Kanton Bern und die Guido Fluri Stiftung haben zusammen mit Betroffenen einen Lehrgang für künftige Caregiver entwickelt. In den letzten Monaten fanden die Schulungen statt. Dabei ging es etwa um den sorgsamen Umgang mit Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, Trauma im Alter oder Schuld und Scham. Ein halbes Dutzend Caregiver haben die Ausbildung absolviert oder schliessen diese ab. Sie werden ab Februar die Betroffenen zu Hause besuchen oder aber in den Alters- und Pflegeheimen. Betroffene können sich unter www.caregivers.ch melden. Auf www.caregivers.ch gibt es auch einen Chat, bei dem Betroffene ihre Anliegen anbringen können. Bedient wird dieser Chat ebenfalls von einer Betroffenen, die jahrelang als Psychologin und Trauma-Therapeutin gearbeitet hat.
Die Caregiver unterstützen Betroffene im Alltag, unternehmen Ausflüge oder besuchen mit Betroffenen ein Amt. Bei spezifischen Problemen, etwa bei finanziellen Fragen, kommt das Angebot von Pro Senectute zum Zug. Marcel Schenk, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Pro Senectute Kanton Bern: «Unsere Mitarbeitenden sind geübt, ältere Menschen zu unterstützen. Dank dem Austausch mit den Caregiver sind wir nun auch speziell auf die Bedürfnisse der Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen geschult. Pro Senectute kann so älteren Betroffenen noch besser helfen».
Das Bundesamt für Justiz unterstützt das Projekt „Caregivers“. Nach einer Evaluation ist eine Ausweitung auf andere Kantone möglich. Westschweizer Betroffene haben bereits ihr Interesse bekundet. Die Selbsthilfeprojekte sind Teil der Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen durch den Bund und sollen den Betroffenen zugutekommen. Diese können beim Bundesamt für Justiz Gesuche für einen Solidaritätsbeitrag stellen. Es sollen möglichst viele Betroffene von der Aufarbeitung und Hilfe des Bundes profitieren