15 Mai 2023

Thun beteiligt sich am Projekt ZEDER

Mehr als 2000 Heim- und Verdingkinder, administrativ Versorgte, Zwangssterilisierte, Zwangsadoptierte und Psychiatrieopfer leben heute allein im Kanton Bern. Zehntausende sind bereits verstorben. Ihr Schicksal und ihr Leiden fanden und finden in keiner Chronik Erwähnung. Die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im 19. und 20. Jahrhundert sind ein ausgesprochen dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte. Das Bundesgesetz zur Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 bezweckt die Anerkennung und Wiedergutmachung des Unrechts, das den Betroffenen zugefügt wurde. Neben der Auszahlung eines Solidaritätsbeitrags sieht das Gesetz vor, dass die Kantone Zeichen der Erinnerung schaffen. Das Berner «Zeichen der Erinnerung» besteht aus mehreren Teilprojekten, die der Kanton in enger Zusammenarbeit mit Gemeinden, Schulbehörden, kirchlichen Organisationen und Betroffenen umsetzt (vgl. Medienmitteilung des Kantons Bern vom 22. November 2022). Insgesamt nehmen 166 Berner Gemeinden am Projekt teil. «Der Thuner Gemeinderat begrüsst die Initiative des Kantons sehr. Es ist selbstverständlich, dass sich die Stadt Thun am Projekt beteiligt. Wir nutzen das Angebot des Kantons, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und ihr das traurige Kapitel und die vielen Schicksale in Erinnerung zu rufen – auch, damit sich so etwas nie wiederholt», sagt Stadtpräsident Raphael Lanz.

Am 2. Juni führt die Stadt Thun im Rathaus einen Gedenkanlass durch, den Stadtpräsident Raphael Lanz mit einer Rede eröffnet. Anschliessend findet eine Gesprächsrunde statt mit vier Personen, die an der Aufarbeitung des Themas mitgewirkt haben: Godi Brunner (Betroffener), Anita Egli (Stadtarchivarin Thun), Barbara Studer Immenhauser (Staatsarchivarin Kanton Bern) und Udo Allgaier (Stiftung Opferhilfe Bern). Der Anlass ist öffentlich, eine Anmeldung ist erforderlich (vgl. Infobox).

Vom 5. bis 16. Juni ist im Entrée des Rathauses die Plakatausstellung des Kantons zu sehen. Gestaltet hat die Plakate der bekannte Berner Grafiker Claude Kuhn. Ziel der Ausstellung ist die Verbindung des historischen Themas mit konkreten Biografien und Erfahrungen. Sie soll zum generationenübergreifenden Dialog über den wichtigen Aspekt der jüngeren Schweizer Geschichte anregen.

Und schliesslich wird am 2. Juni im Eingangsbereich des Rathauses eine bleibende Erinnerungstafel angebracht. Die ebenfalls von Claude Kuhn gestaltete Tafel sensibilisiert für Unrecht und Willkür und regt dazu an, Visionen zu entwickeln, wie derartiges Leid künftig verhindert werden kann.

Nebst der vom Kanton zur Verfügung gestellten Plakatausstellung und der Erinnerungstafel lanciert die Stadt Thun mit dem Podcast «Auf den Spuren fremdplatzierter Kinder in Thun bis 1981» ein eigenes Projekt. In den acht Folgen des Podcasts kommen verschiedene Akteurinnen und Akteure der damaligen Zeit zu Wort. Den Text schrieb die Historikerin Andrea Schüpbach im Auftrag der Stadtkanzlei. Mit dem Podcast setzt die Stadt auch den parlamentarischen Vorstoss betreffend Verdingkinder und administrativ versorgte Menschen in der Gemeinde Thun um.

Auch die Thuner Schulen sind eingeladen, am Projekt «Zeichen der Erinnerung» mitzuwirken. Insbesondere können sie in einem «Erzählbistro» jungen Menschen die Begegnung mit Betroffenen ermöglichen und so Geschichte konkret erlebbar und greifbar gestalten. Ziel ist, die Möglichkeiten und die Grenzen von Entschuldigung und Wiedergutmachung aufzuzeigen sowie für Perspektiven der Versöhnung mit Geschichte zu sensibilisieren.

(text&bild:pd)