28 November 2021

Stimmbevölkerung sagt laut Trendrechnung Ja zur Pflegeinitiative

Die Stimmenden in der Schweiz wollen die Situation in der Pflege mit einem neuen Verfassungsartikel verbessern. Die Pflegeinitiative ist laut der Trendrechnung von gfs.bern im Auftrag der SRG angenommen worden.

Die Zustimmung überrascht nicht. Umfragen hatten hohe Ja-Anteile ergeben. Gemäss den letzten Befragungen vor dem Urnengang von Tamedia und von gfs.bern für die SRG wollten 72 respektive 67 Prozent ein Ja einlegen. Die Zustimmung sei relativ deutlich für eine Initiative, sagte Politologe Urs Bieri von gfs.bern am Sonntagmittag auf Radio SRF.

Dass bei der Pflege Handlungsbedarf besteht, war Befürwortern und auch Gegnern der Initiative klar. Schon vor der Covid-19-Pandemie fehlte es in den Augen des Initiativkomitees an gut ausgebildetem diplomiertem Pflegepersonal. Zu viele stiegen frühzeitig aus dem Beruf aus, monierte es.

Deshalb lancierte der Berufsverband der Pflegenden (SBK) vor vier Jahren erstmals in seiner hundertjährigen Geschichte eine Volksinitiative. Die Politik finde keine Mittel gegen den drohenden Pflegenotstand, hiess es zur Begründung. Und die Bevölkerung werde immer älter.

Mit der Pandemie verschärfte sich die Situation im Pflegeberuf laut dem SBK. Aktuell seien über 11’000 Pflegestellen in der Schweiz unbesetzt, davon 6200 von Pflegefachpersonen. Die Pflegenden seien chronisch überlastet, erschöpft und frustriert.

Der nun laut Trendrechnung angenommene neue Verfassungsartikel verlangt, dass Bund und Kantone für eine ausreichende Pflege von hoher Qualität für alle sorgen müssen. Ebenso sollen sie sicherstellen, dass entsprechend dem steigenden Bedarf genügend diplomierte Pflegefachleute zur Verfügung stehen.

Weiter soll der Bund Bestimmungen erlassen zu den Arbeitsbedingungen in Spitälern, Heimen und Spitex-Organisationen. Zu Gunsten besserer Arbeitsbedingungen soll er zudem dafür sorgen, dass Pflegeleistungen angemessen abgegolten werden. Verlangt werden zudem Bestimmungen zu Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung von Pflegenden.

Schliesslich sollen Pflegefachpersonen gewisse Pflegeleistungen selbst und direkt mit der obligatorischen Krankenpflegeversicherung oder anderen Sozialversicherungen abrechnen können. Heute können sie grundsätzlich nur Leistungen abrechnen, die von einer Ärztin oder einem Arzt angeordnet worden sind.

Die Gesetzesartikel für die Umsetzung der Initiative muss das Parlament in den nächsten vier Jahren erlassen, also bis Ende November 2025. Doch schon vorher, nämlich innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre, muss der Bundesrat etwas unternehmen gegen den Mangel an Pflegefachkräften.

Unterstützt wurde die Initiative von der Ärztinnen- und Ärzteverbindung FMH. SP, Grüne, Grünliberale und EVP hatten die Ja-Parole gefasst, die Mitte-Partei Stimmfreigabe beschlossen.

Bundesrat und Parlament wollten den Pflegeberuf zwar ebenfalls stärken. Die Initiative lehnten sie aber ab mit der Begründung, Arbeitsbedingungen eines einzelnen Berufszweiges sollten nicht in der Verfassung geregelt werden. Der Initiative stellten sie einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber, der nach dem Ja Makulatur ist.

Er wäre in den Augen der Initiativgegner der schnellere Weg zur Lösung gewesen als die Initiative und hätte unter anderem eine Ausbildungsoffensive gebracht. Bund und Kantone hätten in den nächsten acht Jahren rund eine Milliarde Franken in die Ausbildung von Pflegenden investiert.

Sowohl Studierende als auch Spitäler, Heime und Spitex-Organisationen, die Pflegende ausbilden, wären unterstützt worden. Auch Fachhochschulen und höhere Fachschulen hätten Geld erhalten sollen, wenn sie die Zahl der Ausbildungsplätze erhöhen.

Ein Element übernahmen Regierung und Parlament teilweise von der Initiative: Das Pflegepersonal hätte gewisse Leistungen direkt bei den Krankenkassen abrechnen können. Ein Kontrollmechanismus hätte aber verhindern sollen, dass mehr Leistungen abgerechnet werden als heute und damit Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien steigen.

Den Initiantinnen und Initianten genügte der Gegenvorschlag nicht. Er enthalte keine Massnahmen, um mehr Pflegende im Beruf zu halten, monierte das Initiativkomitee. Auch Massnahmen für eine bessere Qualität der Pflege bringe der Gegenvorschlag nicht.

Gegen die Initiative hatten sich SVP, FDP und EDU ausgesprochen. Auch der Krankenkassenverband Santésuisse und der Spitalverband H+ lehnten die Initiative ab. Die Kantone hatten sich ebenfalls hinter den indirekten Gegenvorschlag gestellt.

(text:sda/bild:unsplash)