Staatsanwältin verlangt teilbedingte Freiheitsstrafe für die Mutter
Eine heute 44-jährige Frau soll wegen versuchter Kindstötung im Berner Oberland zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt werden. Das hat die Staatsanwältin am Dienstag vor dem Regionalgericht in Thun gefordert.
Die Staatsanwältin sah es als erwiesen an, dass sich die Mutter der versuchten Kindstötung schuldig gemacht habe. Die Frau habe krass egoistisch gehandelt, als sie das Kind in einer kalten Winternacht in einem Entsorgungshof in Därstetten BE deponiert hatte. Sie habe den Tod des Kleinen in Kauf genommen.
Es hätte zahlreiche Alternativen gegeben, etwa eine Babyklappe, kam die Staatsanwältin zum Schluss. Dass die Frau darauf vertraut habe, dass das Baby im Entsorgungshof rasch gefunden werde, qualifizierte die Staatsanwaltschaft als Schutzbehauptung.
Vielmehr habe die Angeklagte eine Schwangerschaft aus einer Affäre mit einem anderen Mann vor ihrem Lebensgefährten verheimlichen und das Kind loswerden wollen. Echte Reue zeige die Frau bis heute nicht.
Unmittelbar nach der Geburt sei die Frau mit ihrem Partner losgezogen, um Drogen zu kaufen, als wäre nichts passiert. In der Nacht sei sie mehrfach neben dem Entsorgungshof durchgefahren und habe nicht nach dem Kind geschaut.
„Das grosse Verdrängen“ nannte die Anwältin des Kindes das Verhalten der Frau. Selbst vor Gericht habe die Angeklagte am Dienstag noch versucht, alle glauben zu machen, sie habe von der Schwangerschaft bis zur Geburt nichts gemerkt.
Die Staatsanwältin forderte letztlich eine Freiheitsstrafe von 32 Monaten, 16 Monate davon unbedingt. Für die bedingte Strafe von 16 Monaten gilt eine Probezeit von vier Jahren. Ausserdem soll das Gericht einen Landesverweis von fünf Jahren gegen die deutsche Staatsangehörige aussprechen. Schliesslich sollte die Frau auch wegen Drogendelikten mit einer Geldstrafe und einer Busse bestraft werden. Die Anwältin des Kindes verlangte eine Genugtuung von 15’000 Franken.
Der Verteidiger zeichnete ein anderes Bild seiner Mandantin. Sie habe sich nicht etwa aus der Verantwortung gestohlen, betonte er. Nach der Geburt habe die Frau das Baby in Decken gewickelt und an einen Ort gebracht, von dem sie wusste, dass dort auch Abends Leute vorbeigehen.
Seiner Mandantin könne man daher keine versuchte Kindstötung vorwerfen. Sie habe Vorkehrungen getroffen, die das Überleben des Kindes sicherstellen sollten. Natürlich habe seine Mandantin auch Fehler gemacht, räumte der Verteidiger ein. Sie habe es unterlassen, beispielsweise die Ambulanz oder sonst jemanden anonym über das liegengelassene Baby zu informieren.
Stattdessen habe sie nach dem Prinzip Hoffnung agiert und so das Neugeborene einer grossen Gefahr ausgesetzt. Seine Mandantin sei daher der Aussetzung schuldig zu sprechen. Der Verteidiger forderte eine bedingte Freiheitsstrafe von acht Monaten. Dazu kommen auch für ihn eine bedingte Geldstrafe und Busse wegen Drogendelikten. Die Genugtuung für das Kind sei auf maximal 5000 Franken festzusetzen.
Die Angeklagte selber hatte am Dienstag vor Gericht tränenreich beteuert, bis zur Geburt nichts von der Schwangerschaft gemerkt zu haben. Erst auf Nachfragen hin, räumte sie ein, sie habe sich die Schwangerschaft wohl auch nicht eingestehen wollen.
Sie könne ihr Verhalten nicht erklären, betonte die Frau. „Ich weiss nicht, was ich gedacht habe“, sagte sie. „Hätte ich mir Gedanken gemacht, hätte ich das Baby nicht im Entsorgungshof abgelegt.“
Sie habe nicht gewollt, dass das Baby stirbt, betonte die Frau mehrfach. Sie sei froh, sei die Kleine gefunden worden und habe überlebt.
Die Frau hatte das Kind am 3. Januar 2020 an der Simme im Gebiet Weissenburg-Därstetten spontan geboren. Mit einer Schere aus der Autoapotheke durchtrennte sie die Nabelschnur. Dann wickelte sie das Neugeborene in Decken und deponierte es in einer Kartonschachtel im nahen Entsorgungshof der Gemeinde.
Erst am folgenden Morgen wurde das stark unterkühlte Baby zufällig gefunden. Es war dem Tod nahe, wie die Rechtsmediziner in einem Bericht festhielten. Heute lebt das Kind in einer Pflegefamilie.
Der Kontakt zur leiblichen Mutter gestaltet sich nach Angaben der der Anwältin des Kindes sehr schwierig. Die aus Deutschland stammende Frau hat bereits mehrere Kinder, die alle nicht bei ihr leben.
(text:sda/bild:beo)