Omikron entfacht Grundsatzdiskussion über die Quarantäne
Die Omikron-Welle stellt die Schweiz in der Pandemie vor neue Herausforderungen. Aus der Ostschweiz ertönt der Ruf nach einer nur noch fünftägigen Quarantäne. Sogar eine Abschaffung wird zum Thema. An den Schulen sorgt derweil die Maskenpflicht für Diskussionen.
Der Tenor in den Interviews des Wochenendes war eindeutig. Die Situation laufe wahrscheinlich aus dem Ruder, warnte Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (Ekif), am Samstag im Gespräch mit Radio SRF.
Wenn sich die Neuansteckungen alle zwei bis drei Tage verdoppelten, sei bald die allgemeine Versorgung des Landes gefährdet, so Berger. Mit Impfen und Boostern allein lasse sich die Situation nicht bewältigen.
Am Sonntag doppelte die Zürcher Gesundheitsdirektorin Nathalie Rickli im Interview mit der „NZZ am Sonntag“ nach. „Wir haben es hier mit einer Monsterwelle zu tun, die sich nicht mehr stoppen lässt“, sagte die SVP-Politikerin.
Man müsse auf jeden Fall verhindern, dass die Schweiz bald stillstehe, so Rickli. Ein neuer Lockdown sei jedoch nicht sinnvoll, denn dies würde das Problem lediglich zeitlich nach hinten verschieben.
Vielmehr möchte die Zürcher Gesundheitsdirektorin die Quarantäne auf fünf Tage verkürzen. Entsprechend hätten die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren der Ostschweizer Kantone den Bundesrat in einem Brief aufgefordert, die Quarantäne- und Isolationsdauer auf fünf Tage zu reduzieren.
Einige wollen sogar noch weiter gehen. Man könnte allen, die Kontakt mit Infizierten hatten, umgehend zehn Schnelltests zukommen lassen, sagte der Epidemiologe Marcel Salathé der „Sonntagszeitung“. Die Person solle sich dann täglich testen. Solange der Test negativ sei, könne man auch wieder zur Arbeit gehen.
Welche Belastung Personalausfälle für die Spitäler bedeuten, machte Dorit Djelid, stellvertretende Direktorin des Spitalverbands H+, am Samstagabend in der SRF-„Tagesschau“ klar. Schon Ausfälle von mehr als 15 Prozent seien für die Grundversorgung kritisch. Und je nach Szenario könnten 10 bis 40 Prozent des Personals ausfallen.
Unter Personalengpässen leiden auch die Schulen: Von einem Leben im Ungewissen sprach Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), gegenüber der „Sonntagszeitung“. Man wisse nie so genau, wer anwesend sei.
Das Problem des Personalmangels habe schon vor der Pandemie bestanden, erklärte Rösler am Sonntag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Corona habe die Situation dramatisch verschärft. Kurzfristig brauche es nun zeitlich begrenzte Sondermassnahmen, um den Druck von den Schulen zu nehmen.
Immer stärker rücken die Schulen derweil ins Zentrum der Kritik von Massnahmengegnerinnen und -gegnern. Am Samstag demonstrierten in Bellinzona TI rund vierhundert Menschen gegen die Maskentragpflicht für Kinder an den Tessiner Grundschulen, die ab Montag gilt. Am Sonntag versammelten sich in Tavannes BE rund 500 bis 600 Menschen mit dem gleichen Anliegen. Im Kanton Bern müssen ab Montag Schulkinder ab der ersten Klasse eine Maske tragen.
Es waren zwei von drei Corona-Demonstrationen am Wochenende. In Zürich zogen am Samstag mehr als tausend Gegnerinnen und Gegner der Corona-Massnahmen durch die Innenstadt.
Im Kanton St. Gallen reichten Private laut eigenen Angaben am Samstag eine Petition mit knapp 6000 Unterschriften gegen die Maskenpflicht für Kinder in der Primarschule ein. Diese gilt im Ostschweizer Kanton seit Ende der Weihnachtsferien.
Die teils hitzigen Diskussionen belasten den Schulalltag. Ganz viele Eltern trügen die Massnahmen mit, betonte LCH-Präsidentin Rösler gegenüber Keystone-SDA. Doch Lehrpersonen würden von Eltern teilweise auch massiv unter Druck gesetzt – obwohl sie nur die Beschlüsse der Kantonsregierungen umsetzten.
Für Lehrerinnen und Lehrer sei es „extrem schwierig“, wenn einigen Kindern zuhause gesagt werde, sie sollten keine Maske tragen, sagte Thomas Minder, Präsident des Verbandes der Schulleiterinnen und Schulleiter der Schweiz (VSLCH), auf Anfrage. Die Schulen könnten Kinder deswegen nicht einfach nach Hause schicken.
Der Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) verteidigte derweil am Sonntag den Entscheid, die Skirennen in Adelboden vom Wochenende zu bewilligen. Grossevents seien erlaubt, die Rennen fänden im Freien statt. Zudem müsse auch die Eigenverantwortung der Zuschauer zum Tragen kommen
Sportler und Zuschauer hatten sich am Samstag besorgt ob der Situation in Adelboden gezeigt: Über 12’000 Fans bejubelten den Sieg des Schweizers Marco Odermatt im Riesenslalom. Viele taten dies ohne Maske und dicht gedrängt.
Die Szenen aus dem Berner Oberland sorgten teilweise auch im Ausland für Irritation: Der österreichische Rennfahrer Manuel Feller sagte in einem Interview im österreichischen Fernsehen: „Die Schweizer gehen da ein bisschen einen anderen Weg. Die versuchen an einem Wochenende gleich alles zu durchseuchen“.
(text:sda/bild:unsplash)