Neu zusammengesetztes Parlament steht vor erster Bewährungsprobe
Heute Montag beginnt die neue Legislaturperiode der Bundesversammlung – die 52. seit Gründung des modernen Bundesstaates. Mit einer Schonfrist dürfen die neuen Parlamentsmitglieder nicht rechnen: Die Traktandenliste der Wintersession ist reich befrachtet.
Die Präliminarien beschränken sich auf den ersten Tag. Im Nationalrat wird die Session eröffnet mit Reden des Alterspräsidenten, Mitte-Partei-Chef Gerhard Pfister (ZG), sowie des jüngsten erstmals gewählten Ratsmitglieds, der Berner SVP-Nationalrätin Katja Riem.
Nach der Vereidigung der 54 neuen Mitglieder des Nationalrats wird das Ratspräsidium gewählt. Designiert ist der bisherige Vizepräsident Eric Nussbaumer (SP/BL). Das Vizepräsidium übernimmt die Aargauer Freisinnige Maja Riniker.
Der Ständerat wird mit 13 neuen Mitgliedern besetzt sein. Nach der Vereidigung wählt die kleine Kammer ebenfalls ein neues Präsidium. Vorgesehen ist die Basler SP-Ständerätin Eva Herzog, die nach ihrer Niederlage bei der Ersatzwahl von Bundesrätin Simonetta Sommaruga Ende 2022 im Oktober glanzvoll im Amt bestätigt worden ist. FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR) dürfte das Vizepräsidium übernehmen.
Neben der neuen Ratsführung gibt es nach den Wahlen auch neue Stärkeverhältnisse unter der Bundeshauskuppel. Im Nationalrat gewinnt die SVP-Fraktion deutlich an Einfluss, die SP und die Mitte legen leicht zu, während FDP, Grüne und GLP weniger Sitze haben als bisher.
Im Ständerat hat die Mitte ihre Vormachtstellung untermauert, vor der FDP, der SP und der SVP. Die Grünen verlieren ihre Gruppenstärke. Dafür feiern die Grünliberalen mit Tiana Angelina Moser (ZH) ein Comeback in der kleinen Kammer. Die Genfer Protestbewegung MCG ist mit Mauro Poggia erstmals in der kleinen Kammer vertreten.
Selbst mit der FDP und kleineren Rechtsparteien reicht es der SVP in keiner Kammer zu einer rechtsbürgerlichen Mehrheit, wie das 2015 bis 2019 der Fall war. Eine Mehrheit hat auch das rot-grüne Lager nicht, sodass die gestärkte Mitte noch deutlicher als bisher das Zünglein an der Waage spielen wird.
Im Mittelpunkt der Wintersession stehen die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats. Neu besetzt werden muss der Sitz von Alain Berset. Keine Partei dürfte den Sozialdemokraten den Sitz streitig machen. Auf dem offiziellen SP-Ticket figurieren der Bündner Nationalrat Jon Pult und der Basler Regierungspräsident Beat Jans.
Die Grünen haben trotz der Wahlniederlage beschlossen, einen Sitz der FDP anzugreifen. Die Kandidatur von Nationalrat Gerhard Andrey (FR) hat jedoch wenig Aussichten auf Erfolg, da die meisten Parteien erklärt haben, dass sie kein amtierendes Bundesratsmitglied stürzen wollen.
Nach den Bundesratswahlen dürfte Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte) zur Bundespräsidentin für 2024 gewählt werden. Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) wird voraussichtlich zur Vizepräsidentin aufsteigen.
Am selben Tag wird auch der Posten des Bundeskanzlers neu besetzt. Walter Thurnherr (Mitte) hat seinen Rückzug angekündigt. Vizekanzler Viktor Rossi, der aus den Reihen der Grünliberalen stammt, hat sich als Kandidat beworben. Auch die SVP hat das Amt im Visier: Sie hat Anfang November ein Zweierticket mit dem St. Galler Gabriel Lüchinger und der Waadtländerin Nathalie Goumaz aufgestellt. Auch der parteilose Lukas Gresch-Brunner, Generalsekretär des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI), interessiert sich für den Posten.
Traditionell wird in der Wintersession auch das Bundesbudget fürs kommende Jahr diskutiert. Die finanziellen Aussichten sind düster, der Handlungsspielraum des Parlaments ist deshalb eingeschränkt. Nach Ansicht der Finanzkommissionen der beiden Räte soll jedoch die Landwirtschaft weitgehend von weiteren Sparmassnahmen verschont werden.
Auch Energie- und Klimafragen kommen im Dezember im Bundeshaus nicht zu kurz. Der Nationalrat wird sich mit einem Gesetz befassen, das den beschleunigten Bau von Solar-, Wind- und Wasserkraftwerken ermöglichen soll. Dabei wird auch die Frage des Verbandsbeschwerderechts diskutiert werden.
Auch das neue CO2-Gesetz ist Thema in der grossen Kammer. Der Entwurf des Bundesrats, der keine neuen Abgaben und Verbote vorsieht, wurde im Ständerat in den Grundzügen unterstützt. Doch der Teufel steckt im Detail.
Der Ständerat wird ein weiteres Umweltthema diskutieren. Es geht um eine Vorlage zur Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft. Nicht mehr Gebrauchtes soll nach Möglichkeit weitergegeben oder wiederverwertet werden. Nach dem Nationalrat will auch die zuständige Ständeratskommission einen Kulturwandel herbeiführen.
Erneut Thema in der kleinen Kammer ist die Biodiversitätsinitiative. Die zuständige Kommission besteht darauf, dass es keinen indirekten Gegenvorschlag zum Volksbegehren geben soll. Die Mehrheit findet, dass mit dem geltenden Recht genügend Flächen mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität gesichert werden können.
Beide Räte werden zudem eine Asyldebatte führen. Initiiert hat dies die SVP. National- und Ständerat werden über zwei Motionen befinden, die den Bundesrat auffordern, die gelockerte Asylpraxis für afghanische Frauen rückgängig zu machen. Das Zünglein an der Waage wird wie bei weiteren Abstimmungen die Mitte-Partei spielen.
Weniger umstritten dürfte die Forderung beider Sicherheitspolitischen Kommissionen (SIK) sein, die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas zu verbieten. Der Bundesrat hat bereits angekündigt, bis im kommenden Februar eine entsprechende Vorlage auszuarbeiten.
Schliesslich könnte der Bundesrat einen gewissen Spielraum erhalten, um Waffenexporte auch in Länder zu genehmigen, in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden. Die zuständige Kommission des Nationalrats unterstützt die vom Ständerat angenommene Lockerung des Gesetzes gegen den Widerstand der Linken.
Die erste Session der neuen Legislatur endet am 22. Dezember mit den Schlussabstimmungen.
(text:sda/bild:unsplash)