26 Juni 2024

Julian Assange ist ein freier Mann und zurück in Australien

Nach 14 Jahren juristischer Odyssee ist Wikileaks-Gründer Julian Assange als freier Mann nach Australien heimgekehrt. Der 52-Jährige landete am Mittwochabend (Ortszeit) mit einer Chartermaschine in der Hauptstadt Canberra. Ein US-Gericht auf der Marianen-Insel Saipan – einem US-Aussengebiet im Westpazifik – hatte zuvor einen Deal zwischen dem Australier und der amerikanischen Justiz im Zusammenhang mit Spionagevorwürfen abgesegnet. „Es sieht so aus, als würde dieser Fall mit mir hier in Saipan enden“, sagte Richterin Ramona Manglona bei der Urteilsverkündung.

Im Gegenzug für ein teilweises Schuldbekenntnis ist Assange wegen seiner bereits in Grossbritannien verbüssten Haft ab sofort auf freiem Fuss. In Canberra erwarteten ihn sein Vater und seine Ehefrau Stella. Auch sollte er nach der Ankunft mit Premierminister Anthony Albanese zusammentreffen. Albanese hatte sich immer wieder, auch auf höchster Ebene, für eine Lösung in dem juristischen Tauziehen starkgemacht.

Assange ist der Protagonist eines grossen Spionageskandals. 2006 hatte er die Enthüllungsplattform Wikileaks gegründet – mit der Mission, Whistleblower zu unterstützen und verborgene Informationen ans Licht zu bringen. Von 2010 an veröffentlichte Wikileaks geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan der Whistleblowerin Chelsea Manning. Die USA warfen Assange daraufhin vor, geheimes Material gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben.

Letzter Akt auf der Tropeninsel
Der Kontrast zwischen der kleinen Gefängniszelle im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, in dem der Whistleblower die vergangenen fünf Jahre verbracht hat, und der pazifischen Trauminsel Saipan – wo sich am Mittwoch der letzte Akt der Saga abspielte – hätte nicht grösser sein können. Nachdem sich die Ereignisse seit Montag überschlagen hatten, fand sich Assange nur zwei Tage später unter blauem Tropenhimmel und in der Nähe von palmengesäumten Stränden wieder.

Von London Stansted war er am Montag mit einer Chartermaschine zunächst nach Bangkok geflogen und von dort am Dienstagabend in das US-Aussengebiet gestartet. Die Flugnummer VJT199, die Wikileaks zuvor in sozialen Medien genannt hatte, war seit Tagen die von Nutzern weltweit am meisten beobachtete Verbindung.

Freudentränen der Ehefrau
Kaum jemand konnte Assanges Gemütszustand wohl besser nachvollziehen als seine Frau Stella, die auf X zu seiner Ankunft auf der Insel schrieb: „Ich sehe mir die Aufnahmen an und denke daran, wie gross die Reizüberflutung sein muss, wenn er nach Jahren der sensorischen Deprivation in den vier Wänden seiner Hochsicherheitszelle im Belmarsh-Gefängnis jetzt durch das Gedränge der Presse geht.“

Nach der Gerichtsentscheidung jubelte sie in sozialen Netzwerken: „Julian verlässt das Gericht von Saipan als freier Mann. Ich kann nicht aufhören zu weinen.“ Die 40-jährige Anwältin hatte den Australier 2022 während seiner Haft geheiratet und hat zwei Kinder mit ihm.

Angst bis zur letzten Minute
Die amerikanische Justiz wollte Assange lange Zeit den Prozess wegen Spionagevorwürfen machen: Bis zu 175 Jahre Haft hätten ihm in den USA gedroht. Stattdessen handelte er nun einen Deal aus und bekannte sich der Verschwörung zur unrechtmässigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen Unterlagen schuldig. In die USA wollte Assange zur Absegnung des Deals aber partout nicht – zu gross war wohl das Misstrauen. Stattdessen flog er auf die beschaulichen Marianen, die zwar zu den USA gehören, aber deutlich näher an seiner australischen Heimat liegen.

Richterin Ramona Manglona legte am Morgen (Ortszeit) fest, dass als Strafmass jene Zeit gilt, die der Internetaktivist bereits in der Haft in London verbüsst hat. Damit ist er frei. Das US-Justizministerium bestätigte in einer Mitteilung, dass der Fall offiziell abgeschlossen sei. Aber die Angst, dass in letzter Minute doch noch etwas hätte schiefgehen können, war gross. Nach der Entscheidung soll Assange Beobachtern zufolge sehr emotional und den Tränen nah gewesen sein.

Es handele sich offenbar um ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk, sagte Richterin Manglona: „Ich habe gehört, dass Sie nächste Woche Geburtstag haben. Ich hoffe, Sie beginnen Ihr neues Leben auf positive Weise.“ Assange wird am kommenden Mittwoch (3. Juli) 53 Jahre alt.

Anwälte danken australischem Premier
„Ich hoffe, dass die Tatsache, dass es uns heute gelungen ist, Julian Assange trotz aller Widrigkeiten und gegen eine der mächtigsten Regierungen der Welt freizubekommen, allen weltweit inhaftierten Journalisten und Verlegern Hoffnung gibt“, sagte die australische Menschenrechtsanwältin Jennifer Robinson am Mittwoch vor dem Gericht und sprach von einem „historischen Tag“.

Robinson dankte vor allem Premierminister Albanese für dessen unermüdlichen Einsatz für Assange. „Dieses Resultat ist das Ergebnis sorgfältiger, geduldiger und entschlossener Arbeit. Arbeit, auf die ich sehr stolz bin“, sagte Albanese in einer ersten Reaktion im Parlament.

Es ist das abenteuerliche Ende einer langen Odyssee. Vor seiner aufsehenerregenden Festnahme im April 2019 hatte sich Assange sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt und so dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen.

Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände, Künstler und Politiker setzten sich derweil immer wieder für seine Freilassung ein. Wikileaks kündigte für den Abend Ortszeit (13.15 Uhr MESZ) eine Pressekonferenz an.

(text:sda,jkä/bild:keystone)