Dem Nationalteam gehen die Verteidiger aus
Mit dem Ausfall von Manuel Akanji verschärfen sich die Abwehrsorgen im Schweizer Nationalteam. Trainer Murat Yakin muss im Abstiegskampf der Nations League improvisieren.
Fabian Schär, Nico Elvedi, Manuel Akanji: Dieses Innenverteidiger-Trio sorgte jahrelang für die defensive Stabilität der Schweizer Nationalmannschaft. Nun fehlen plötzlich alle drei. Das führt am Freitag im Zürcher Letzigrund zu einer aussergewöhnlichen Situation. Zum ersten Mal seit über acht Jahren wird keiner der drei Verteidiger in der Startformation stehen. Zuletzt war dies am 28. Mai 2016 im Testspiel gegen Belgien der Fall, als Philippe Senderos und Johan Djourou die Innenverteidigung bildeten.
Nach Schärs Rücktritt nach der EM in Deutschland und Elvedis verletzungsbedingtem Ausfall – er wäre gegen Serbien aber ohnehin gesperrt gewesen – meldete sich am Montag auch Akanji ab. Der Verteidiger von Manchester City leidet an Adduktorenproblemen.
Es ist eine missliche Lage, wie Pierluigi Tami einräumt. „Neue Spieler lassen sich am besten integrieren, wenn sie in ein funktionierendes System eingefügt werden“, erklärt der Nationalteamdirektor. Aufgrund der vielen Ausfälle gebe es nun aber zwangsweise eine grössere Rotation in der Abwehr. Trotzdem sei er zuversichtlich, dass Yakin eine Lösung finde. Schliesslich sei es in der Vergangenheit auch schon zu personellen Engpässen gekommen.
Doch wer bleibt überhaupt übrig? Die einzigen klassischen Innenverteidiger im aktuellen Aufgebot sind die beiden 21-jährigen Aurèle Amenda und Albian Hajdari. Amenda ist Ergänzungsspieler bei Eintracht Frankfurt, Hajdari Stammspieler bei Lugano. Beide haben noch kein Spiel für die A-Nationalmannschaft bestritten.
In der Poleposition dürfte daher Eray Cömert stehen, der immerhin 15 Einsätze im Dress des Nationalteams vorweisen kann und in dieser Saison zwölf Spiele für Real Valladolid in der spanischen La Liga absolvierte. Gegen den 26-Jährigen spricht, dass er dabei meist im defensiven Mittelfeld eingesetzt wurde. Zudem hatte Cömert seinen letzten Einsatz in der Nationalmannschaft im Frühjahr beim Testspiel gegen Irland. Dabei konnte er nicht überzeugen, woraufhin Yakin sogar auf eine Nomination für das erweiterte EM-Kader verzichtete. Somit kann auch Cömert nur als Notlösung bezeichnet werden.
Das führt zur Anschlussfrage: Wie konnte es zu diesem Engpass kommen? Denn dieser war mit dem Rücktritt von Schär absehbar. Zuletzt hatte Yakin damit kokettiert, den Mittelfeldspieler Denis Zakaria zum Verteidiger umzuformen, falls dieser Lust dazu habe. Aus dem Experiment wurde nichts, weil sich Zakaria verletzte und nach dem Oktober auch die beiden Spiele im November absagen musste.
Der Nationaltrainer ist nicht unverschuldet in diese Situation geraten. Yakin hat es versäumt, in der Abwehr eine „zweite Reihe“ aufzubauen. Dies zeigt sich am Beispiel von Cédric Zesiger. Dieser war nach der WM 2022 in Katar stets im Aufgebot, stand aber in den 19 Spielen bis und mit der EM in Deutschland nur einmal in der Startaufstellung. Zweimal wurde er in der Schlussphase eingewechselt und 16 Mal sass er über die volle Distanz auf der Ersatzbank.
Nach Schärs Rücktritt schien seine Chance gekommen, doch plötzlich entzog Yakin dem 26-jährigen Verteidiger von Wolfsburg das Vertrauen komplett. Stattdessen zauberte der Trainer im September Gregory Wüthrich aus dem Hut, der mit 29 Jahren erstmals in die A-Nationalmannschaft berufen wurde und gegen Europameister Spanien gleich in der Startformation stand. Der verdiente Lohn für eine sehr gute Saison bei Sturm Graz. In langfristiger Hinsicht war der Entscheid des Nationaltrainers allerdings schwer nachvollziehbar.
Auch Wüthrich, der beim 1:4 gegen Spanien einen schweren Stand hatte, fällt verletzungsbedingt aus. Zesiger, der im Oktober noch zweimal auf der Ersatzbank Platz genommen hatte, steht nach dem Ausfall von Akanji weiterhin nur auf der Pikettliste. Stattdessen nominierte Yakin mit Ulisses Garcia den dritten Linksverteidiger neben Ricardo Rodriguez und Miro Muheim nach.
Welche Überlegungen dahinter stecken und ob die Schweiz mit einer Dreier- oder Viererkette in der Abwehr spielen wird, bleibt vorerst offen. Tami sagt, er könne sich nicht zu den taktischen Ideen des Trainers äussern. „Murat wird im Training nun genau beobachten, welche Spieler in welchem System am besten funktionieren.“ Sowieso steht fest: Ausgerechnet in den wichtigen letzten Gruppenspielen muss Yakin in der Abwehr arg improvisieren.
Am Freitag zählt im Heimspiel gegen Serbien nur ein Sieg. Holt die Schweiz im Letzigrund keine drei Punkte, ist der direkte Abstieg in die Liga B besiegelt. Und selbst wenn die Nationalmannschaft gewinnt und nach Punkten zu Serbien aufschliesst, ist der letzte Gruppenplatz noch möglich. Denn in der letzten Runde am Montag müssen die Schweizer auswärts bei Europameister Spanien antreten, während die heimstarken Serben Dänemark empfangen.
Eine schwierige Ausgangslage, die angesichts der immer länger werdenden Verletztenliste wenig Hoffnung auf ein gutes Ende macht. Yakin, der sich rühmt, in seiner Karriere als Spieler und Trainer noch nie abgestiegen zu sein, droht eine unangenehme Premiere.
(text:sda/bild:keystone)