17 November 2024

Brienz GR ist wieder ein Geisterdorf – Alle Einwohner sind weg

Die 91 Einwohnerinnen und Einwohner von Brienz in Graubünden haben allesamt ihr Dorf verlassen. Die behördliche Inspektion des von 1,2 Millionen Kubikmetern Gestein bedrohten Ortes wurde am Sonntag abgeschlossen. Wie erwartet gab es keinen Widerstand.

Ein Dutzend Feuerwehrleute und zwei Polizisten begleiteten die Gemeindebehörden und Beamten des kantonalen Militär- und Zivilschutzamtes am Sonntag zu einem letzten Kontrollgang durch das Bergdorf Brienz, in dem seit 13 Uhr ein totales Betretungsverbot gilt.

„Während dieser Stunde, in der wir das ganze Dorf durchsuchten, hörten wir immer wieder das Geräusch von Felsen, die sich vom Hang lösen“, sagte der Gemeindepräsident von Albula, Daniel Albertin, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die Entscheidung, das Dorf zu evakuieren, sei richtig gewesen, bekräftigte er. „Wenn man durch ein leeres Dorf geht, in dem alle Fensterläden geschlossen sind und man keine Einwohner sieht, ist das ein eigenartiges Gefühl“, beschrieb Albertin vor dem Kontrollpunkt, der in der Nähe der Burgruine Belfort eingerichtet wurde.

Alle 91 Evakuierten haben in den fünf Tagen seit der Ankündigung der Massnahme eine Unterkunft für die kommenden Monate gefunden. Somit muss niemand vorübergehend in einem Hotel wohnen. Das Hotel Albula & Julier hatte für den Bedarfsfall Zimmer zur Verfügung gestellt.

Der behördliche Kontrollgang begann um 13 Uhr, nachdem die letzten Bewohner das Dorf verlassen hatten. „Die Menschen haben sich sehr gut auf die Evakuierung vorbereitet“, sagte Pascal Porchet, Leiter des kantonalen Amtes für Militär und Zivilschutz, zu Keystone-SDA. „Wir haben das Dorf in Sektoren aufgeteilt. Die Feuerwehr klopfte an alle Türen und kontrollierte von den Fenstern aus, dass nichts vergessen wurde.“

Das Gebiet um Brienz herum wird elektronisch überwacht. Alle Zufahrtsstrassen wurden mit Betonblöcken abgesperrt und können weder zu Fuss noch mit dem Velo befahren werden. Wer sich nicht daran hält, riskiert eine Busse von bis zu 5000 Franken. Für das gesamte Gebiet wurde zudem ein Überflugverbot erlassen.

Damit die Bewohner in ihre Häuser zurückkehren können, muss sich die Situation nach Ansicht des Gemeindepräsidenten deutlich ändern. Die für die nächsten Tage erwarteten Niederschläge könnten jedoch die Bewegung von Steinen und Geröll am Hang oberhalb von Brienz verstärken.

In den letzten Tagen hat sich das Material täglich um 20 Zentimeter in Richtung Tal bewegt. „Wir beobachten die Situation fortlaufend“, sagte Porchet vom Amt für Militär und Zivilschutz. Und: „Das Szenario, dass die Bevölkerung im Frühling 2025 in ihre Häuser zurückkehren kann, ist durchaus realistisch.“

Während dieser Zeit wird Brienz ein verlassenes Dorf bleiben. Ab diesem Sonntagabend wird nur noch das Licht in der Pfarrkirche St. Calixtus brennen. Auf der Innenseite der Glocke wurde 1912 folgende lateinische Inschrift eingraviert: „Calixt, durch Deine mächtige Hand halte zurück die schlüpfrigen Felsen und beschütze, o heiliger Patron, diesen Ort.“

Und so bleibt der Wunsch oder auch die Hoffnung, dass das Dorf auch dieses Mal, so wie im Juni 2023, von der Steinlawine verschont wird.

(text:sda/bild:keystone)